Prof. Dr. Bernhard Fresacher

Texte

"Anderl von Rinn"

Anderl von Rinn spielt die Hauptrolle in einer antisemitischen Ritualmord-Tradition, die seit rund 400 Jahren im katholischen Tirol und darüber hinaus verwurzelt ist. Am 12. Juli 1462, so die Legende, sollen durchreisende Juden den dreijährigen Andreas Oxner seinem Paten abgekauft und auf einem Stein – dem „Judenstein“ – grausam ermordet haben. Nach der Schoa hat die Diözese Innsbruck versucht – zuerst zögerlich, dann vehement -, dem Kult des „Seligen Martyrerkindes“ ein Ende zu setzen. Dieser lange Prozess einer Kultsistierung wird hier erstmals Schritt für Schritt nachgezeichnet: Zuerst war es die Bevölkerung von Rinn, die sich ihr Anderl nicht nehmen lassen wollte, dann setzten reaktionäre Kreise das Anderl auf ihre Fahne und machten es zum Patron ihres Kampfes gegen die Kirche des Zweiten Vatikanischen Konzils. Die Geschichte des Anderl-Kultes in Tirol offenbart, wie hartnäckig ein latenter Antijudaismus sich hält, der Ungeist, aus dem in Europa an die 700 Ritualmordbeschuldigungen bis in das 20. Jahrhundert hinein entstanden.

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